Der Unterschied zwischen Flusshochwassern, wie sie sich zum Beispiel 2002 und 2013 an der Elbe ereigneten, und den jetzt stattgefundenen Sturzfluten, vergleichbar mit denen 2016 in Simbach (Bayern) und Braunsbach (Baden-Württemberg), ist, dass diese Sturzfluten aus Extremniederschlägen in kleinen Einzugsgebieten hervorgehen. Sie sind durch sehr schnelle Abflussprozesse von Bergen und Hängen über Bäche, die zu Strömen werden, gekennzeichnet und haben sehr kurze Vorwarnzeiten im Gegensatz zu den Flusshochwassern großer Flüsse wie der Elbe oder dem Rhein, für die die Vorwarnzeiten einige Tage betragen. Dadurch sind untere und mittlere Hanglagen sowie Tallagen nahe von Bächen besonders gefährdet“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Reinhard Hinkelmann.
„Es gibt derzeit in Deutschland keine gesetzlichen Regelungen, die den Überflutungsschutz vor Sturzfluten, sogenannten Flash floods, in kleinen Einzugsgebieten, wie wir sie vergangene Woche in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz erlebten, regeln. Deshalb sind bislang in den nun überfluteten Regionen auch keine oder kaum Überflutungsschutzmaßnahmen durchgeführt worden. Das wird sich ändern müssen. Der umfangreiche, sehr gute Hochwasserschutz in Deutschland ist bislang auf Flusshochwasser ausgelegt.“
— Dr.-Ing. Reinhard Hinkelmann, Professor für Wasserwirtschaft und Hydrosystemmodellierung an der TU Berlin
Ein wirksamer Schutz vor solchen Sturzfluten werde nicht ohne kostenintensive, millionenschwere Investitionen und harte Maßnahmen möglich sein wie den Bau großer Ableitsysteme vor Siedlungen, den früheren Stadtmauern ähnlich, in die Landschaft eingepasste Dämme, versenkbare Mauern und Geschiebesperren im Ober- und Mittellauf der Bäche – wie sie aus dem alpinen Raum bekannt sind –, um Bäume und Geröllmassen zurückzuhalten, so Reinhard Hinkelmann. Wichtig werde sein, die Schutzmaßnahmen den lokalen Gegebenheiten anzupassen. Aber auch Veränderungen in der Siedlungs- und Landschaftsplanung wie weitere Bebauungsverbote in überflutungsgefährdeten Bereichen dürften kein Tabu sein. „Wir müssen über Maßnahmen nachdenken, die über das Existierende hinausgehen und damit meine ich auch, dass wohl überlegt werden muss, ob die jetzt weggerissenen Gebäude an ihren ursprünglichen Stellen wiedererrichtet werden sollten.“
Eine weitere Konsequenz aus den Extremwettereignissen der letzten Tage sei, die Bemessungsgrundlage für die Hochwasserschutzmaßnahmen zu ändern. „Zurzeit werden die meisten Hochwasserschutzmaßnahmen für ein Flusshochwasser ausgelegt, das statistisch einmal in 100 Jahren auftritt. Hier ist über erhöhte Bemessungsereignisse nachzudenken, also sich an noch extremeren Wetterereignissen zu orientieren, wie sie zum Beispiel alle 200 Jahre auftreten könnten“, so Reinhard Hinkelmann.
Die Hochwasserschutzanlage der sächsischen Kleinstadt Grimma, die nach der Flutkatastrophe von 2002 an der Elbe begonnen wurde zu bauen, nennt Reinhard Hinkelmann eine gelungene Hochwasserschutzmaßnahme, wenngleich keine Blaupause für all die jetzt betroffenen Kommunen, da in Grimma der Denkmalschutz eine gewichtige Rolle spielte. „Zudem dauerte die Umsetzung der Hochwasserschutzmaßnahmen 17 Jahre. Für die Maßnahmen, die jetzt nötig sind, um die Siedlungen an den Ober- und Mittelläufen der Bäche und in Tallagen zu schützen, sollten wir nicht weitere 17 Jahre brauchen“, sagt Reinhard Hinkelmann.
Die Extremniederschläge resultieren seiner Einschätzung nach aus den Folgen des Klimawandels. Das bedeute für den Hochwasserschutz, dass die Auswirkungen des Klimawandels seitens der Politik intensiver angegangen werden müssen. „Auch zukünftig werden wir keinen 100-prozentigen Hochwasserschutz haben, das Schutzniveau wird voraussichtlich auch nach dem Umsetzen vieler weiterer Maßnahmen sinken, das Leben wird riskanter. Das wird den Druck auf die Politik weiter erhöhen“, urteilt Reinhard Hinkelmann.