Wie wirken sich luftgetragene Partikel, sogenannte Aerosole, auf die Bildung und den Lebenszyklus von Wolken und Niederschlag aus? Um der Lösung dieser Frage einen Schritt näher zu kommen, werden Atmosphärenwissenschaftler des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (Tropos) und des Leipziger Instituts für Meteorologie (LIM) der Universität Leipzig für mindestens ein Jahr die Atmosphäre an einem der saubersten Orte der Welt beobachten. Dazu haben sie für das Projekt DACAPO-PESO zwei Container mit umfangreicher Messtechnik aus Leipzig nach Punta Arenas an der Magellanstraße in Südchile transportiert. Dort kooperieren die beiden Institute mit dem Labor für Atmosphärenphysik der Magellan Universität (Umag), das neben der Bereitstellung der Infrastruktur für die Leipziger Instrumente auch mit eigenen Messungen zu dem Projekt beiträgt. Die Wahl fiel auf Punta Arenas weil die Stadt auf vergleichbarer geographischer Breite wie Deutschland liegt und damit Vergleiche zwischen Nord- und Südhemisphäre ermöglichen wird. Die Messkampapgne ist Teil des internationalen Jahres der Polarvorhersage (YOPP), mit dem durch intensive Messungen die Wetter- und Klimavorhersage für die Polarregionen verbessert werden soll.
„Das Experiment wird es uns ermöglichen, die beobachteten regionalen Unterschiede in der Effizienz der Eisbildung in Wolken genauer zu erklären und die Rolle der Aerosole detaillierter zu beschreiben“, sagt Dr. Patric Seifert, Wissenschaftler am Tropos und Initiator von DACAPO-PESO. „Die Synergien der vielseitigen Fernerkundungsinstrumente sowie die darauf basierende Entwicklung von neuartigen Auswertealgorithmen werden genauere Einblicke in alle Schichten der Wolken geben. Ein Ziel wird z.B. sein, zu klären, ob die Eiskristalle in der aerosolarmen Atmosphäre von Punta Arenas häufiger durch Bereifung in Flüssigwasserschichten als durch Aggregation wachsen als in der Nordhemisphäre“, erklärt Jun.-Prof. Heike Kalesse von der Universität Leipzig .
Der Aufbau der Messstation in Punta Arenas erfolgte im November und Dezember 2018 durch drei Wissenschaftler von Tropos und Umag. Patric Seifert ist kurz vor Weihnachten nach Leipzig zurückgehrt und ist zufrieden mit dem bisherigen Verlauf: „Alle Messgeräte arbeiten zuverlässig und erste interessante Beobachtungen wurden bereits gemacht. So wurden reine Flüssigwasserwolken bei Temperaturen von um die ‑20°C beobachtet, was während vergleichbarer Messungen in Deutschland nur äußerst selten der Fall ist. Das könnte ein Indiz für wenig Eiskeime in der Südhemisphäre sein.“
Die Entstehung von Wolken und Niederschlag hängt im Wesentlichen von drei Parametern ab: Luftfeuchtigkeit, Temperatur, sowie die Verfügbarkeit und Art von Aerosolpartikeln, die als Keime für Wolkentropfen und Eiskristalle dienen. Auch wenn weithin akzeptiert ist, dass Wasserdampf und Temperatur die Wolkenprozesse dominieren, sind sich Wissenschaftler noch uneins über den tatsächlichen Einfluss der Aerosolpartikel auf das Wettergeschehen. Bekannt ist, dass jeder Wolkentropfen und jeder Eiskristall, der bei Temperaturen höher als ‑40°C entsteht, die Verfügbarkeit eines Tropfen- oder Eiskeims voraussetzt.
In Deutschland und anderen Regionen in den mittleren Breiten der Nordhalbkugel entsteht der meiste Niederschlag (in der freien Troposphäre) zwischen zwei und zwölf Kilometern über dem Boden. Diese Luftschichten sind durch Aerosolpartikel aus vom Menschen verursachter Luftverschmutzung, Wüstenstaub und Waldbränden geprägt. In den mittleren Breiten der Südhalbkugel fehlen diese Partikel größtenteils, weil dort mehr Ozeane und wesentlich weniger Industrie, Wüsten und Waldgebiete zu finden sind. Ändert sich die Menge der verfügbaren Aerosolpartikel in der Atmosphäre, verändert sich auch die Menge der gebildeten Wolkentropfen und Eiskristalle. So lässt sich erklären, dass Flüssigwasserwolken über den stark mit Aerosol belasteten Regionen Europas oder Südostasiens aus wesentlich mehr Tropfen bestehen. Im Gegensatz dazu bestehen Flüssigwasserwolken in weniger verschmutzten Regionen wie über den Ozeanen oder den Polargebieten aus weniger und häufig auch größeren Tropfen.
Das Wissen über die Zusammenhänge zwischen Aerosolpartikeln und Wolken stammt überwiegend aus Messungen in der verschmutzteren Nordhemisphäre. Darüber, wie diese Prozesse unter den deutlich saubereren Bedingungen der Südhemisphäre ablaufen, ist aber im Detail noch relativ wenig bekannt. Daher entstand am Tropos die Idee zum Feldexperiment DACAPO-PESO (Dynamics, Aerosol, Cloud and Precipitation Observations in the Pristine Environment of the Southern Ocean), das einen Referenzdatensatz liefern soll. Um die Situation im Norden gut mit der im Süden vergleichen zu können, fiel die Wahl daher auf einen Standort, der ungefähr auf der gleichen geographischen Breite wie Deutschland liegt und deshalb ähnliche Temperatur- und Klimabedingungen hat. Die Südhalbkugel ist in diesen Breiten mit Ausnahme von Südamerika von Ozeanen bedeckt und Langzeitmessungen sind auf dem Meer in diesem Umfang nicht praktikabel. Daher fiel die Wahl auf Chile, wo die Forscher aus Leipzig (52°N) mit der Magellan-Universität in Punta Arenas (53°S) einen Kooperationspartner fanden. Südamerika steht gerade im Fokus der internationalen Atmosphärenforschung: Knapp 3000 km nördlich findet in Argentinien und dem südlichen Brasilien zur Zeit eine groß angelegte Messkampagne verschiedener Universitäten und Institutionen aus den USA statt: RELAMPAGO-CATI untersucht die Enstehung von Gewittern, um die Vorhersage von Hagel und Tornados zu verbessern.
In den letzten Jahren sind die verfügbaren Techniken für die kontinuierliche Beobachtung von Aerosolen und Wolken extrem fortgeschritten. Mit Lidar- und Radargeräten wie dem „Leipzig Aerosol and Cloud Remote Observation System“ (LACROS) lässt sich vom Erdboden aus die Struktur von Wolken- und Aerosolschichten sowie von Niederschlag mit hohen Auflösungen im Bereich von Sekunden und Metern erfassen. In der Messkampagne DACAPO-PESO kommen insgesamt drei Lidarsysteme zur Erfassung der Aerosoleigenschaften zum Einsatz. Zusätzlich beobachten drei unterschiedlich konfigurierte Radarsysteme die Struktur von Wolken und Niederschlag. Die Radare sowie ein sogenanntes Doppler-Lidar liefern zudem Informationen über die für Wolkenbildung so wichtige Vertikalbewegung der Luft. Denn diese Vertikalbewegungen führen zu Abkühlung. Dadurch steigt die relative Luftfeuchtigkeit an und es kann zu Wolkenbildung kommen. Regensensoren erfassen die Größe und Art des am Boden ankommenden Niederschlages, ein Mikrowellenradiometer bestimmt die in der Atmosphäre vorhandene Menge an Wasserdampf und Flüssigwasser, und Strahlungsmessgeräte dokumentieren den Einfluss der Aerosole und Wolken auf die auf der Erdoberfläche ankommende Energie. Die meisten der Geräte sind Teil der LACROS-Station des Tropos, die durch ein neues Dopplerradar des LIM sowie ein Lidar der Umag verstärkt wird. Alle Messungen zusammen liefern ein detailliertes Bild über das Wettergeschehen in der sauberen Atmosphäre über Punta Arenas. Durch die anvisierte lange Zeitreihe an Messungen von mindestens einem Jahr kommt somit ein umfassender Datensatz zusammen. Dieser wird den Wissenschaftlern als Referenz für den Vergleich gegenüber dem Wettergeschehen in den stark von Aerosol belasteten gemäßigten Breiten der Nordhemisphäre dienen. Die Auswertung erfolgt dabei teilweise im Rahmen der Europäischen Infrastrukturprojekte ACTRIS, Cloudnet und EARLINET sowie in Kooperation mit dem Konsortium des Polarvorhesage-Jahres (Year of Polar Prediction, YOPP), dem Schwerpunktprogramm SPP2115 „PROM“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und einem vom LIM geleiteten Projekts des Europäischen Sozialfonds (ESF).