Die Größenverteilung der Organismen in einem See lässt zuverlässige Rückschlüsse auf die energetische Effizienz im Nahrungsnetz zu, wie Forschende des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und internationale KollegInnen empirisch zeigen konnten. Dieser Zusammenhang erlaubt ein besseres und schnelleres Verständnis von biologischen Vorgängen und Störungen, die auf aquatische Ökosysteme einwirken.
In jedem Lebensraum kann nur eine bestimmte Anzahl großer Organismen existieren, weil sich diese von kleineren Organismen ernähren. In der Ökologie wird dieser Zusammenhang mit der Trophischen Transfereffizienz (TTE) beschrieben: Von Nahrungsebene zu Nahrungsebene gehen etwa 90 Prozent der Energie verloren bzw. nur 10 Prozent bleiben erhalten. Frisst beispielsweise ein Raubvogel ein Kaninchen, kann er nur 10 Prozent der Energie, die das Kaninchen zum Wachsen und Leben benötigte, in eigenes Wachstum umsetzen – die allermeiste Energie geht also verloren. Forschende des IGB haben nun untersucht, wie groß diese wichtige Modellgröße in natürlichen Seeökosystemen tatsächlich ist und wie sie mit der Populationsdichte von Organismen verschiedener Größengruppen zusammenhängt. „Natürlich gibt es schon Untersuchungen zur Trophischen Transfereffizienz und Größenverteilung, aber bislang nicht in dem Umfang, den unsere Studie hatte: Wir haben alle trophischen Ebenen analysiert, vom Bakterium bis zum großen Fisch“, erklärt Dr. Thomas Mehner, Hauptautor der Studie und Leiter der Arbeitsgruppe Nahrungsnetze und Fischgemeinschaften am IGB.
Vorhandene Nahrung wird schlechter verwertet als erwartet
Für ihre Untersuchung nahmen die Forschenden die Nahrungsnetze in zwei kleinen, flachen und nährstoffreichen Seen in Norddeutschland unter die Lupe, die sie für einen Zeitraum von einem Jahr mithilfe einer Folie in zwei abgeschlossene Systeme teilten. Durch die lange Phase der Teilung entwickelten sich in beiden Hälften die wichtigsten Organismengruppen jeweils unterschiedlich, sodass Daten für insgesamt vier verschiedene Seeökosysteme erhoben werden konnten. Die Forschenden ermittelten die Biomasse und Größe aller in den Seen lebenden Organismen. Außerdem berechnete das Team die Trophische Transfereffizienz für alle Nahrungsebenen im See. Dafür verglichen sie die Primär- und bakterielle Produktion mit der Sekundärproduktion bzw. dem Gewinn an Biomasse auf der Stufe der Konsumenten.
„Wir konnten feststellen, dass die Energieeffizienz geringer ist als allgemein angenommen: Sie liegt deutlich unter zehn Prozent. Die vorhandene Nahrung wird also schlechter verwertet als erwartet“, berichtet Thomas Mehner. Die ermittelten TTEs waren in allen vier Seen etwa gleich niedrig. Eine Bestätigung für die Voraussagen der ökologischen Theorien gab es allerdings beim Zusammenhang von TTE und Größenverteilung: Wenn die Trophische Transfereffizienz unter zehn Prozent sinkt, entspricht dies im Modell einer immer steiler abfallenden Kurve. In den vier Seehälften sank damit auch die Biomasse der größeren Organismen stärker ab als erwartet. So zählten die Forschenden deutlich weniger Konsumenten im Wasser, als bei einer höheren TTE zu erwarten wären.
Die Größenverteilung in Seen als „Werkzeug“ nutzen
Dass der Zusammenhang zwischen Trophischer Transfereffizienz und Größenverteilung stabil ist, eröffnet der Untersuchung aquatischer Ökosysteme neue Möglichkeiten. Anstatt die TTE aufwändig zu ermitteln, reicht es vermutlich aus, Populationsdichten und Größenverteilungen zu messen. „Die Trophische Transfereffizienz ist eine wichtige Größe, wir wissen aber oft nicht, wie hoch sie ist. Wir konnten zeigen, dass die leichter bestimmbare und häufiger anwendbare Größenverteilung ausreicht, um etwas über den energetischen Zustand und die Effizienz eines Ökosystems zu erfahren“, fasst Mehner die Bedeutung der Ergebnisse zusammen. Damit lässt sich die Größenverteilung als „Werkzeug“ nutzen, um zum Beispiel Informationen über die Auswirkungen globaler Erwärmung, die Invasion fremder Arten, Veränderungen der Lebensräume oder menschliche Ausbeutung von Ökosystemfunktionen zu erhalten.