Durch Arzneimittel, Pestizide oder Kosmetika gelangt eine Vielzahl von Chemikalien in den Wasserkreislauf und unser Trinkwasser. Die Wirkung dieser Stoffe auf Mensch, Tier und Umwelt ist bei vielen dieser Stoffe noch nicht vollständig untersucht. Das vom Umweltbundesamt koordinierte Verbundprojekt „Neurobox“ soll das ändern: Ziel ist es, Wasserversorgern und Behörden eine Testbatterie zur Verfügung zu stellen, mit der so genannte neurotoxische Substanzen erkannt und bewertet werden können.
An der Hochschule Darmstadt (h_da) untersucht Dr. Petra Waldmann vom Fachbereich Chemie- und Biotechnologie in einem Teilprojekt von Neurobox auf zellulärer Ebene potenzielle Auswirkungen hormonell wirksamer Stoffe auf die Zell-Entwicklung (Differenzierung) und das Nervensystem. Die Forschung wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Bis zum Jahr 2020 sollen Ergebnisse vorliegen.
Neurotoxische Stoffe schädigen das Nervensystem. Manche Stoffe wie einige Phthalate (Weichmacher), Pestizide und Alkylphenole haben neben einer hormonartigen auch eine neurotoxische Wirkung und wurden in Studien wiederholt mit Entwicklungsverzögerungen bei Kindern, Autismus, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, verminderter Reproduktionsfähigkeit und weiteren negativen Effekten in Verbindung gebracht. Deshalb sind in der EU bereits mehrere dieser Substanzen in vielen Anwendungen verboten. Im Rahmen eines Vorgängerprojekts haben die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits eine Testbatterie entwickelt. Speziell für den Bereich der neurotoxischen Stoffe zeigte sich jedoch der Bedarf an weiterer Forschung. „Wasserversorger finden immer mehr Stoffe im Wasser, die sie schlecht einschätzen können“, sagt Dr. Petra Waldmann, Toxikologin am Fachbereich Chemie- und Biotechnologie der h_da. Das Verbundprojekt Neurobox hat zum Ziel, für Wasserversorger und Behörden eine Batterie von Tests zu entwickeln, mit denen sie Spurenstoffe im Wasserkreislauf bewerten können.
Das Team der Hochschule Darmstadt untersucht hormonell wirksame Stoffe auf eine schädliche Wirkung auf embryonale Stammzellen. Daraus kann abgeleitet werden, wie schädlich diese Stoffe für Embryos und die Entwicklung von Nervenzellen sind. Diese Simulation auf zellulärer Ebene hat den Vorteil, dass auf Tierversuche verzichtet werden kann. Die verwendeten Stammzellen sind pluripotent, das heißt, anders als omnipotente Stammzellen können sie sich nicht zu einem ganzen Organismus entwickeln. „Aus embryonalen Stammzellen von Mäusen gewinnen wir schlagende Herzmuskelzellen“, sagt Dr. Waldmann. Mäusestammzellen lagern sich in Kultur zu sogenannten „embryonalen Körperchen“ (embryoid bodies) zusammen. Dabei nehmen diese Körperchen eine tropfenähnliche oder kugelige Form an und rekapitulieren in einem begrenzten Maße die frühe embryonale Entwicklung eines Organismus. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben diese Körperchen auf Zellkulturplatten. Die Zellen der Körperchen wachsen dort am Boden fest und differenzieren aus, das heißt, sie wachsen zum Teil zu Herzmuskelzellen heran. „Die Mäusestammzellen setzen wir, während sie embryonale Körperchen ausbilden, der zu testenden Substanz aus, um festzustellen, ob sie embryotoxisch wirkt.“
Eine toxische Wirkung wird unter dem Mikroskop sichtbar: Nur noch wenige der Körperchen bilden schlagende Herzmuskelzellen aus. Mäusestammzellen können unter bestimmten Kulturbedingungen auch zur Bildung von Nervenzellen angeregt werden. Unter Zugabe einer Testsubstanz kann ermittelt werden, ob diese Substanz schädlich auf die Bildung von Nervenzellen und Netzwerken aus Nervenzellen wirkt. „Chemikalien werden in der Regel nur im Nano- oder Mikrogramm-Bereich im Wasser gefunden, also in kleinsten Mengen“, sagt Waldmann, „aber sind sie im Trinkwasser, werden sie oft auch ein Leben lang vom Menschen aufgenommen“. Daher müsse untersucht werden, ob diese Substanzen schädlich für Mensch und Umwelt seien.