Finnwale sind die zweitgrößten Lebewesen unseres Planeten, nur noch übertroffen von den Blauwalen. Sie können eine Länge von rund 20 Metern erreichen – und benötigen bis zu zwei Tonnen Nahrung pro Tag. Entsprechend geben sie enorme Mengen an Nährstoffen frei – mit deutlichen Auswirkungen auf die Ökosysteme der Ozeane. Der industrielle Walfang hat ihre Zahl jedoch erheblich reduziert. Er war auf den Tran der Wale als Rohstoff ausgerichtet und wurde besonders intensiv zwischen 1880 und einer internationalen Übereinkunft 1986 betrieben. Heute wird die Anzahl der Finnwale weltweit auf etwa 100.000 Tiere geschätzt; die Art gilt laut Roter Liste als gefährdet. Welche Folgen ihre Dezimierung für die Populationen und vor allem für die genomische Vielfalt der Finnwale hat, zeigt eine neue Studie von Wissenschaftler*innen des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG), des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums (SBiK‑F) sowie von isländischen und schwedischen Forschungseinrichtungen. Ihre Ergebnisse zeigen erfreulicherweise keine langfristige genetische Schwächung dieser Art.
Nachdem Anfang des 20. Jahrhunderts Finnwale so lange gejagt wurden, bis mancherorts aufgrund zurückgehender Fangzahlen die lokale Walfangindustrie zusammenbrach – so etwa 1904 in den Gewässern um die norwegische Finnmark –, wurden eklatante Folgen bis hin zum Aussterben der Art durch Inzucht befürchtet. Für die in der Fachzeitschrift „Molecular Biology and Evolution“ veröffentlichte Studie untersuchten die Wissenschaftler*innen nun erstmals 51 Genome einer nordatlantischen Finnwal-Population aus isländischen Gewässern. Anhand der Proben aus den Jahren 1989, 2009 und 2018 entwickelten sie demographische Modelle, die Rückschlüsse auf die Populationsveränderungen über rund 800 Jahre erlauben. Im Fokus der Analysen stand dabei die Frage, ob durch den Walfang auch die genetische Vielfalt der Finnwale beeinträchtigt wurde.
Das Team kommt zu dem Schluss, dass der Walfang einen starken Einfluss auf die Bestände im Nordatlantik hatte und sie innerhalb von rund einhundert Jahren auf bis zu zwanzig Prozent ihrer vorherigen Größe dezimierte. Allerdings zeigte das Team auch, dass verschiedene Populationen unterschiedlich stark vom Walfang getroffen wurden, da die Genome mancher Tiere kaum oder keine Spuren dieser Bestandsverringerung aufwiesen.
„Der Blick auf die genetische Vielfalt einer Art erlaubt Rückschlüsse darauf, ob und wie gut sich diese Art an neue Umweltbedingungen oder Veränderungen ihrer Population anpassen kann, oder ob sie vermutlich aussterben wird. Daher lassen sich anhand der genomischen Analyse häufig bereits Entwicklungen erkennen, bevor sie offen zutage treten. Bei den nordatlantischen Finnwalen konnten wir jedoch in der langfristigen Perspektive keinen deutlichen Verlust ihrer Diversität feststellen.“
— Magnus Wolf, Erstautor der Studie
Auch andere genetische Folgen innerhalb der dezimierten Finnwal-Bestände scheinen ausgeblieben zu sein. Weder fanden die Wissenschaftler*innen Anzeichen von häufiger Inzucht, bei denen sich die Genome unnatürlich stark ähneln, noch ließ sich eine größere Anzahl von Gendefekten nachweisen, die die Population langfristig belasten würden. „Solche Mutationen treten ständig auf, doch in kleinen Populationen fallen sie stärker ins Gewicht, da es dann manchmal keine Tiere ohne diese Mutation mehr gibt, die sich durchsetzen könnten“, so Wolf.
Im Vergleich zu stärker gefährdeten Walarten wie dem Blauwal oder dem Nordatlantischen Glattwal scheint der Erholung der Finnwale also vor allem der aktuelle Einfluss des Menschen im Weg zu stehen. Dazu zählen unter anderem der steigende Schiffsverkehr und die Verschmutzung der Meere. Von der Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature) sind Finnwale auf der Roten Liste als gefährdete Art eingestuft. Daher gebe es derzeit keine Entwarnung für ihre Situation, betont Prof. Dr. Axel Janke, leitender Wissenschaftler der Studie, wissenschaftlicher Koordinator und Sprecher des LOEWE-Zentrums TBG und ebenfalls am SBiK‑F und dem Institut für Ökologie, Evolution und Diversität der Goethe-Universität Frankfurt tätig.
„Es ist faszinierend, wie genomische Erkenntnisse zu unserem Bild vom Walschutz beitragen können. Die Genomik entwickelt sich zu einer Schlüsseltechnologie nicht nur für den Artenschutz, sondern hilft uns auch zu verstehen, was Biodiversität eigentlich ist und wie wir sie nutzen können. Wale sind nicht nur beeindruckende Tiere, sondern scheinen auch trotz ihrer langen Lebensdauer von bis zu einhundert Jahren und ihrer Körpergröße kaum Tumore zu entwickeln und damit resistent gegen Krebs zu sein. Die Entschlüsselung der genomischen Mechanismen, die dieses Paradoxon verursachen, könnte uns helfen, eine der folgenreichsten Krankheiten in der Geschichte der Menschheit anzugehen.“