Es handelt sich um ein bekanntes Problem: Immer mehr Kohlenstoff gelangt aufgrund menschlicher Aktivitäten in die Atmosphäre. Die heizt sich auf. Das Klima ändert sich und mit ihm die Lebensbedingungen auf unserem Planeten. Der Ozean bremst diesen Prozess. Seine Wärme- und Kohlendioxidaufnahme ist aber zu langsam, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen zu können − selbst bei ambitionierter Klimaschutzpolitik und drastischer Emissionsreduktion. In der ersten, Anfang August gestarteten Forschungsmission der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM) untersuchen rund 200 Forschende in sechs Verbundprojekten, wie die klimaregulierende Bremswirkung des Ozeans in Zukunft verstärkt werden kann.
Das Element Kohlenstoff ist mit seiner fast unüberschaubaren Menge an Verbindungen Grundlage für das Leben auf der Erde. Seine Verteilung bestimmt außerdem das Klima auf unserem Planeten. Ist viel Kohlenstoff im Erdinneren oder im Ozean gebunden und nur wenig als gasförmiges Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre, ist es auf der Erde eher kühl. Je mehr in die Atmosphäre gelangt, desto wärmer wird es. In den vergangenen 250 Jahren hat die Menschheit gigantische Mengen CO2 in die Atmosphäre entlassen. Die Folgen sind als Erderwärmung spür- und messbar.
Meere als Kohlenstoffspeicher
Bei der Suche nach Möglichkeiten, die zunehmend drastischen Folgen dieses menschengemachten Klimawandels abzumildern, rückt jetzt verstärkt der Ozean in den Fokus. Die erste Forschungsmission der DAM, die 2019 vom Bund, den norddeutschen Ländern und Meeresforschungseinrichtungen gegründet wurde, widmet sich genau diesem gesellschaftlich so relevanten Thema. Koordiniert am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) untersuchen in den kommenden drei Jahren rund 200 Wissenschaftler:innen „Marine Kohlenstoffspeicher in Dekarbonisierungspfaden“. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert die Forschungsmission mit 27 Millionen Euro über eine erste Phase von drei Jahren.
„Der Ozean enthält mehr als 50-mal so viel Kohlenstoff wie die Atmosphäre. Bislang hat er etwa ein Viertel der anthropogenen CO2-Emissionen aufgenommen und so die Auswirkungen des Klimawandels abgemildert.“
— Andreas Oschlies vom GEOMAR, einer der Sprecher der Mission
Wir erwarten allerdings, dass der Anteil der ozeanischen CO2-Speicherung abnimmt, da durch Erwärmung, Versauerung, Abnahme des Sauerstoffgehalts und andere vom Menschen verursachte Störungen die physikalischen, chemischen und biologischen Fähigkeiten des Ozeans zur Aufnahme von Kohlendioxid beeinträchtigt werden“, ergänzt Gregor Rehder vom IOW, zweiter Sprecher der Forschungsmission.
Beiträge zum Erreichen der Pariser Klimaziele
Beide Wissenschaftler betonen, dass die wichtigste und dringendste Maßnahme gegen eine weitere Erwärmung des Klimas eine umfassende Reduzierung der Treibhausgasemissionen ist. „Daran führt kein Weg vorbei“, sagt Andreas Oschlies. „Allerdings beinhalten alle Szenarien des jüngsten Berichts des Weltklimarates, dass wir zusätzlich zur Emissionsminderung aktiv Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnehmen müssen, um das 1,5‑Grad-Ziel zu erreichen“, fügt Gregor Rehder hinzu.
Aktuell konzentrieren sich entsprechende Vorschläge vor allem auf landbasierte Methoden. Aufgrund der hohen Nutzungskonkurrenz an Land mit der Nahrungsmittel- und Energieproduktion werden landbasierte Methoden jedoch kaum ausreichen, um die vereinbarten Pariser Klimaziele zu erreichen. Deswegen werden ozeanbasierte Möglichkeiten verstärkt untersucht. Das Wissen darüber, wie der Ozean zur Dekarbonisierung genutzt werden könnte, ist bisher begrenzt. In der jetzt startenden DAM-Forschungsmission untersuchen Wissenschaftler:innen von 21 Forschungseinrichtungen, Universitäten und Unternehmen, wie und in welchem Umfang der Ozean eine nachhaltige Rolle bei der Entnahme und Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre spielen und so dazu beitragen kann, den Klimawandel innerhalb der vom Pariser Abkommen gesetzten Grenzen zu halten.
Wissen für Entscheidungen
„Diese erste Forschungsmission der DAM mit ihrem Bezug zum Klimaschutz hat eine ausgesprochen hohe Relevanz für die Gesellschaft und die Politik, die über effektive Maßnahmen der Klimapolitik entscheiden wird“, erklärt Michael Bruno Klein, Vorstandsvorsitzender der DAM. „Genau für diese Art wissenschaftsbasierter Zukunftsvorsorge wurde die DAM gegründet. Wir haben es uns zur zentralen Aufgabe gemacht, die lösungsorientierte Forschung unserer Mitgliedseinrichtungen zu stärken und im Austausch mit Stakeholdern Handlungswissen für Entscheidungen zu erarbeiten. Ziel ist, die Forschungserkenntnisse wirksam zu machen.“
„Wir werden im Rahmen der Forschungsmission konkrete Handlungsoptionen bereitstellen, Maßnahmen des Wissenstransfers umsetzen, Stakeholder einbinden und transparent kommunizieren“, betont Andreas Oschlies. Die Forschungsmission wird damit wichtige Entscheidungshilfen für die Weiterentwicklung der deutschen Klima-Strategie liefern.
Sechs Verbünde bilden die Forschungsmission
In sechs Verbünden werden verschiedene Methoden der marinen Kohlendioxid-Entnahme und Speicherung hinsichtlich ihres Potenzials, ihrer Risiken und möglicher Nebenwirkungen untersucht sowie Auswirkungen auf die Meeresumwelt, das Erdsystem und die Gesellschaft ermittelt und in einem transdisziplinären Bewertungsrahmen zusammengeführt.
ASMASYS wird das Wissen über die marinen Möglichkeiten der aktiven CO2-Reduzierung in der Atmosphäre zusammenführen und einen einheitlichen Bewertungsrahmen für die unterschiedlichen Ansätze entwickeln. Neben naturwissenschaftlichen Grundlagen und Fragen technischer Machbarkeit werden rechtliche, soziale und ethische Aspekte sowie politische Rahmenbedingungen berücksichtigt (Koordination: Prof. Dr. Gregor Rehder, IOW).
RETAKE untersucht, ob und in welcher Form marine Alkalinitätserhöhung ein praktikables Verfahren sein kann, um signifikante Mengen von CO2 auf umweltverträgliche und gesellschaftlich verantwortbare Weise dauerhaft aus der Atmosphäre zu entnehmen (Koordination: Prof. Dr. Andreas Oschlies, GEOMAR).
sea4soCiety rückt die Kohlenstoffspeicherung in vegetationsreichen Küstenökosystemen in den Mittelpunkt. Unter Berücksichtigung weiterer gesellschaftlicher Nutzung, sowie potenzieller Risiken, werden innovative Ansätze entwickelt, die dieses natürliche Potenzial der Kohlenstoffspeicherung verbessern sollen (Koordination: Prof. Dr. Martin Zimmer, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung — ZMT).
GEOSTOR erforscht das Potenzial der unterirdischen Speicherung von CO2 in Sandsteinformationen unter der Nordsee. Ziel ist es, die Speicherkapazitäten in der deutschen Nordsee zu quantifizieren und die damit verbundenen Risiken und Chancen zu analysieren (Koordination: Prof. Dr. Klaus Wallmann, GEOMAR).
TestArtUp untersucht, ob und in welcher Form durch den Auftrieb von nährstoffreichem Tiefenwasser das oberflächennahe Planktonwachstum gefördert und so mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre gebunden werden kann (Koordination: Prof. Dr. Ulf Riebesell, GEOMAR).
AIMS³ untersucht, inwieweit CO2 in der basaltischen oberen Ozeankruste als Karbonat permanent gespeichert werden kann. Geplante Laborexperimente flankieren Studien der natürlichen Systeme am Mittelatlantischen Rücken. Innovative Monitoringsysteme sollen die Umweltfolgen überwachen (Koordination: Prof. Dr. Achim Kopf, MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen).
„Sowohl die EU-Kommission als auch die deutsche Bundesregierung haben ‚Treibhausgasneutralität bis 2050‘ als Ziel ausgegeben. Wenn wir das erreichen wollen, müssen wir jetzt ehrgeizige und effektive Maßnahmen ergreifen“, betont Gregor Rehder, Sprecher der Forschungsmission. „Auch der Ozean kann uns dabei helfen.“ Sein Kollege Andreas Oschlies ergänzt: „Alle Projekte werden einen wichtigen Beitrag zur UN-Dekade der Ozeanforschung für nachhaltige Entwicklung leisten. Das Ziel der Dekade sind internationale Lösungen für den Schutz und eine nachhaltige Nutzung des Ozeans.“