„Zu den wesentlichen Herausforderungen, vor denen die Wasserwirtschaft in Deutschland – und nicht nur dort – steht, zählen die sich ändernden Klimabedingungen“, ist sich Prof. Dr. Uli Paetzel sicher. Der Präsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) fährt fort: „Um Wetterextreme, wie Hitze oder Starkregen, besser abfedern zu können, werden Stadtplaner und Wasserwirtschaftler künftig noch stärker gemeinsam planen müssen.“
Bei der Regenwasserbewirtschaftung gehen dazu schon heute viele Städte und Gemeinden neue Wege. Beispielsweise soll bei einem neuen Stadtquartier im westfälischen Münster das Niederschlagswasser künftig nicht einfach in den Kanal geleitet, sondern oberflächlich abgeführt und in Mulden zwischengespeichert werden. Die von dort ausgehende Verdunstung verbessert das Kleinklima und trägt bei sommerlicher Hitze zur Absenkung der Umgebungstemperatur bei. Der Rückhalt des Regenwassers auf der Fläche sowie die Steigerung der Versickerung und Verdunstung mindern zudem die Überflutungsgefahr im Starkregenfall. Das nordrhein-westfälische Umweltministerium fördert das Leuchtturmprojekt mit 1,6 Millionen Euro.
Berlin mit erster Regenwasseragentur
Auch in Berlin gibt es Bestrebungen, die Bundeshauptstadt und ihr Umland noch „wassersensibler und klimaangepasster“ zu machen. So gründeten das Land Berlin und die Berliner Wasserbetriebe im Mai vergangenen Jahres die deutschlandweit erste Regenwasseragentur. Sie ist bei den Wasserbetrieben angesiedelt und soll die Berliner Verwaltung, Planer und Bürger bei der Umsetzung dezentraler Lösungen für einen neuen Umgang mit Regenwasser unterstützen. Zu den propagierten Maßnahmen zählen unter anderem die Förderung von Gründächern und die Vermeidung von zusätzlichen versiegelten Flächen.
Großprojekt Stauraumkanal Mauerpark
Darüber hinaus gibt es in Berlin schon seit den 1990er Jahren ein Stauraumprogramm, bei dem bei starkem oder anhaltendem Regen die Wassermassen aus der innerstädtischen Mischwasserkanalisation unterirdisch in Becken, Stauraumkanälen oder auch in großen aufstaubaren Kanälen selbst zwischengespeichert werden. Bis zum Jahr 2024 sollen diese eine Gesamtkapazität von 300.000 m³ haben. Aktuelles Vorzeigeprojekt hierbei ist der Stauraumkanal Mauerpark. Seit Ende 2017 entsteht im Stadtteil Prenzlauer Berg in grabenloser Bauweise ein 654 m langer Kanal mit einem Fassungsvolumen von 7.400 m³. Die Fertigstellung des 20 Millionen Euro teuren Bauwerks ist für das erste Halbjahr 2020 geplant. Aktuell wird es noch mit einem Entleerungspumpwerk, letzten Einstiegsschächten und einer Spülvorrichtung ausgerüstet.
Investitionen in Kanalsanierung
Die Auswirkungen der Klimaproblematik auf die Abwasser- und Niederschlagsbeseitigung strahlen nicht nur auf solche Neubauten, sondern auch auf die „Daueraufgabe“ Kanalsanierung aus. „Die Neugestaltung oberirdischer Ableitungswege und dezentraler Rückhalte- und Behandlungsanlagen für Niederschlagswasser sowie die Stärkung des natürlichen Wasserkreislaufs müssen ebenso wie die Kanalsanierung Bestandteil eines ganzheitlichen Abwasser- und Kanalnetzmanagements sein“, fordert Dr. Ing. Christian Falk, Technischer Betriebsleiter der Stadtentwässerung Dortmund. Hierbei bilden die jährlichen milliardenschweren Investitionen zur Kanalsanierung eine Chance zur Umgestaltung der Netze. In Dortmund wurden beispielsweise seit der Jahrtausendwende mehr als 20 Gewässer bereits vom Kanalnetz abgekoppelt oder befinden sich dazu in der Projektierung. „Das stärkt nicht nur den natürlichen Wasserkreislauf und verbessert nachhaltig das innerstädtische Kleinklima, sondern entlastet auch das Kanalnetz hydraulisch“, betont Christian Falk und fährt fort: „Hierdurch können Kanalsanierungen durch Renovierungsmaßnahmen unterirdisch deutlich kostengünstiger, schneller sowie mit weitaus geringeren Beeinträchtigungen der Anlieger und des Verkehrs umgesetzt werden.“
Trinkwasserversorgung im Stresstest
Was die Trinkwasserversorgung und ‑verteilung angeht, so waren die Hitzesommer 2018 und 2019 mit ihrer hohen Wassernachfrage nach Angaben des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) regelrechte Stresstests für die Systeme. „Diese Belastungsprobe haben die Wasserversorger bis auf wenige lokale Ausnahmen mit besonderen Rahmenbedingungen sehr gut gemeistert“, sagt Karsten Specht, Vizepräsident des VKU, dessen Mitglieder rund 90 Prozent aller Deutschen mit Trinkwasser versorgen. Nach seinen Beobachtungen prüfen die Wasserversorger nun verstärkt, wie klimarobust ihre Systeme sind. Wo nötig, ertüchtigen sie die Infrastruktur oder streben Kooperationen mit benachbarten Versorgern an. „Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Trinkwasserversorgungssysteme können allerdings lokal sehr unterschiedlich sein“, weiß Karsten Specht. Deshalb müssen nach seinen Worten passgenaue statt pauschale Lösungen gefunden werden – nicht zuletzt, weil Anpassungen an der Infrastruktur immer teuer sind.
Förderprogramm des Bundesumweltministeriums
Eine finanzielle Unterstützung für Kommunen, Unternehmen und gesellschaftliche Akteure, die sich langfristig und nachhaltig gegen Hitzeperioden oder Hochwasser wappnen wollen, kann das Förderprogramm „Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels“ des Bundesumweltministerium sein. Bis zu jeweils 300.000 Euro gibt es für Leuchtturmprojekte zur Klimaanpassung und für den Aufbau von regionaler Zusammenarbeit. Projektskizzen können noch bis Ende Oktober dieses Jahres eingereicht werden.
Ifat 2020 zeigt Technologien und Konzepte
Von modernen Verfahren zur Regenwasserversickerung über smarte Steuerungen der Wasserverteilung bis zum grabenlosen Tiefbau – einen Überblick über die für eine klimagerechte kommunale Wasserwirtschaft erforderliche Ausstattung verspricht die Ifat 2020. Außerdem ist die Weltleitmesse für Wasser, Abwasser‑, Abfall- und Rohstoffwirtschaft vom 4. bis 8. Mai kommenden Jahres auch eine Chance, sich aus erster Hand über anderorts geplante oder realisierte Konzepte zu informieren – und sich im Idealfall auch inspirieren zu lassen.