Wie hoch der Wasserbedarf in städtischen Versorgungsgebieten zukünftig sein wird, ist für kommunale Wasserversorger oft schwer abschätzbar. Beeinflusst wird der Bedarf nicht nur von demografischen Entwicklungen und witterungsbedingten Schwankungen. Auch die Gewohnheiten unterschiedlicher Verbrauchergruppen und veränderte Technologien sind zu berücksichtigen. Die Modellierung dieses komplexen Zusammenspiels mit wissenschaftlichen Methoden ermöglicht den Wasserversorgern die nötige Planungs- und Versorgungssicherheit. Das ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung hat dazu ein Prognosemodell entwickelt.
Die Wasserversorger sind auf zuverlässige Prognosen angewiesen, da Investitionen in die Infrastruktur lange Vorlaufzeiten benötigen. Bisher greifen sie hierfür auf bundesweite Durchschnittswerte des Pro-Kopf-Verbrauchs, auf Daten zum Bevölkerungswachstum und zu erwartende technologische Innovationen zurück. Kleinräumige Analysen sind mit diesen Daten nicht möglich. Auch stehen inzwischen detailliertere Informationen zu sozio-ökonomischen, siedlungsstrukturellen oder technischen Faktoren sowie Daten zum Nutzerverhalten zur Verfügung. Gerade diese sind wichtig, wenn es um eine räumlich differenzierte Planung der Wasserinfrastruktur in einem städtischen Versorgungsgebiet geht. Das integrierte Prognosemodell des ISOE schließt die relevanten Einflussfaktoren ein, ermöglicht einen Detailierungsgrad bis hin zu Stadtteilen – bei entsprechender Datenlage auch feiner – und erlaubt eine kontinuierliche Fortschreibung der Prognose mithilfe aktualisierter Daten.
Weniger Wasserverbrauch trotz steigender Bevölkerungszahlen
Warum ist der Wasserbedarf in einer Stadt rückläufig, obwohl die Bevölkerungszahlen seit Jahrzehnten ansteigen? Diesen Trend kennt etwa die Stadt Hamburg seit 1976, wo der Wasserversorger HAMBURG WASSER nicht nur mit rückläufigen Einnahmen, sondern auch mit Planungsunsicherheit konfrontiert war. Mithilfe des integrierten Modells konnten die ISOE-Wasserexperten im Auftrag des Hamburger Wasserversorgers die Ursachen für den Verbrauchsrückgang ermitteln: effizientere Haushaltsgeräte, die immer weniger Wasser benötigen, aber auch eine modernere Sanitärausstattung sowie Wohnungswasserzähler, die zu einem sparsameren Verbrauchsverhalten geführt haben.
Die möglichen Einsparpotenziale sind damit aber nun größtenteils ausgeschöpft, mit einem weiteren Rückgang des Wasserbedarfs ist deshalb nicht mehr zu rechnen. Die Wasserforscher des ISOE gehen davon aus, dass zukünftig vor allem die Bevölkerungsentwicklung und die damit auch verbundene wirtschaftliche Entwicklung den Wasserbedarf bestimmen werden. Zudem werden extreme Witterungsverläufe zu Schwankungen führen – bis zu vier Prozent mehr in Trockenjahren und zwei Prozent weniger in sogenannten Nassjahren.
ISOE-Wasserforschung: Langjährige Expertise in Wasserbedarfsprognosen
„Der Wasserversorger hat nun ein genaueres Bild, auf welche Faktoren zu achten ist, wenn es um den zukünftigen Bedarf geht“, sagt ISOE-Wasserforscher Stefan Liehr, der das Modell mitentwickelt hat. „Das flexible Modell erlaubt es auch, ursprüngliche Schätzungen mit aktuellen Daten abzugleichen. Damit lässt sich die Entwicklung des Wasserbedarfs sehr viel besser fortschreiben als bisher.“ Die Datengrundlage setzt sich aus der räumlich gegliederten Verbrauchsstatistik und den Daten der Bevölkerungs‑, Wohnraum‑, Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur zusammen, verbunden mit Analysen durch ein Geografisches Informationssystem (GIS) sowie Kunden- und Expertenbefragungen.
Das ISOE verfügt über eine langjährige Expertise in der integrierten Modellierung des Wasserbedarfs: 2007 wurde die erste Wasserbedarfsprognose für HAMBURG WASSER erarbeitet und diese 2014 aktualisiert. „Ist die Datengrundlage gelegt, kann der Wasserversorger das Excel-basierte Modell eigenständig weiterführen“, sagt Stefan Liehr. „Eine Übertragung des Prognosemodells auf andere Versorgungsgebiete ist zudem durch die flexible Methodenkombination möglich.“