Große Kreuzfahrtschiffe geben regelmäßig ihr gesammeltes Grauwasser währende der Liegezeiten in den Häfen ab. Bedingt durch das Inkrafttreten der Entschließung MEPC.200(62) ist die Ostsee seit dem 01.01.2013 das erste Sondergebiet nach Anlage IV des MARPOL-Übereinkommens für die Einleitung von Schiffsabwässern. Deshalb ist in naher Zukunft eine deutliche Zunahme der Schiffswasserabgaben in den anliegenden Häfen zu erwarten, wie z. B. den Port of Kiel.
Dieser gibt, wie viele andere Häfen, das Grauwasser der Schiffe als Indirekteinleiter in das Entwässerungsnetz der Stadt ab. Dort stand eine weitreichende Änderung der Leitungsführung und Anpassung der Abwasseranlagen an die neuen Herausforderungen an. Deshalb wurden Voruntersuchungen durchgeführt, welche ergaben, dass sich bei ausgewählten Abwasserqualitäten der Kreuzfahrtschiffe Geruchsprobleme im Bereich der Einleitung ergeben können. Mit einer gezielt auf die Geruchsproblematik abgestimmten Abwasserbehandlungsanlage muss dieser entgegengewirkt werden.
Die Entstehung von Geruchsbelastungen
Der Stoff, der am Häufigsten zu Geruchsbeschwerden in Zusammenhang mit Entwässerungssystemen führt, ist Schwefelwasserstoff. Geruchsbelästigungen sind allerdings nur ein Aspekt dieses Stoffes — die Gefährdung, die durch ihn für das Personal ausgeht, und der massive Angriff der Bausubstanz sind weitere.
Wie aber entstehen Sulfide bzw. Schwefelwasserstoff bei der Entwässerung? Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen Sulfiden, die in das Abwasser eingeleitet werden und solchen, die im Abwasser im Verlauf des Abwassertransportes gebildet werden.
Im kommunalen Bereich ist die Bildung von Sulfid auf dem Fließwege die entscheidende Größe. Die Bildung geschieht dabei durch mikrobielle Stoffumsetzung. Dabei werden von hochgradig spezialisierten Mikroorganismen Sulfat und organische Säuren durch dissimilatorische Stoffumsetzung oxidiert und es entsteht als Nebenprodukt Sulfid (Abbildung 1).
Diese Stoffumsetzungsprozesse finden in den anaeroben Zonen der Sielhaut statt. Daher ist Grundvoraussetzung, dass es zur Bildung von Sulfid im Bereich der Abwasserableitung kommt, die Ausbildung signifikanter anaerober Bereiche. Dies ist regelmäßig der Fall in langen Druckrohrleitungen, großen Freispiegelkanälen mit hohen Fließtiefen und Speichern wie z. B. Pumpenvorlagen mit entsprechenden Aufenthaltszeiten.
Wie viel Sulfid in den anaeroben Bereichen gebildet wird ist abhängig von einer Reihe von Rahmenbedingungen u. a. sind hier zu nennen Temperatur, organische Verschmutzung, Sauerstoffgehalt/ Nitrat, Sielhaut, Sulfatgehalt, pH-Wert, Fließgeschwindigkeit, Fließzeit und Betriebsweise/ ‑systeme. In welcher Stufe Sulfid im Abwasser vorliegt, ist stark abhängig vom pH-Wert. Sulfide sind genau genommen nur die S2- Ionen, jedoch werden im allgemeinen Sprachgebrauch mit Sulfiden auch die anderen Stufen, also undissoziierter gelöster Schwefelwasserstoff (H2S) und Hydrogensulfid HS-, bezeichnet. Diesem allgemeinen Sprachgebrauch soll hier gefolgt werden.
Abwasser aus dem häuslichen Bereich enthält bei der Einleitung in die öffentlichen Netze in der Regel kein bzw. nur verschwindend geringe Mengen an Sulfiden. Damit liegen direkte Einleitungen von Sulfiden im häuslichen Abwasserbereich meist unterhalb der Nachweisgrenze. Anders im industriellen, gewerblichen Bereich, in denen im Rahmen von Produktionsprozessen Sulfide eingesetzt werden können oder im Zuge der Abwasserbeseitigung entstehen und damit bereits bei Einleitung in die öffentlichen Netze in erheblichem Umfang vorliegen können. Dies gilt z. B. auch für die Abwässer von Kreuzfahrtschiffen.
Schwefelwasserstoff ist ein Gas, das in Wasser nur sehr schwer löslich ist. Dadurch wird der Schwefelwasserstoff bei geeigneten Rahmenbedingungen aus dem Wasser emittieren. Dies ist z. B. der Fall nach Abwasserdruckleitungen, wenn sich die Druckverhältnisse ändern. Dann erfolgt jedoch keine vollständige Spontan-Emission sondern es beginnt der Prozess der Ausgasungen, welcher sich über eine längere Fließstrecke hinziehen kann. Bei Freispiegelkanälen entgast das gebildete Sulfid in der Regel zeit- und ortsnah.
Werden im Anschluss an Abwasserdruckleitungen über die Fließstrecke Schwefelwasserstoff-messungen durchgeführt, so zeigt sich, dass das Maximum der Emissionen in einiger Entfernung vom Übergabeort auftritt. Dies ist neben den Ausgasungseffekten auch den Ventilationsverhältnissen im Kanal geschuldet. Abbildung 2 zeigt schematisch den Verlauf der Emissionen im Freispiegelkanal nach einer Abwasserdruckleitung. Ist diese Emissionsstrecke nicht vorhanden, bzw. ist diese nicht lange genug, klingen die Emissionen auf der Strecke nicht vollständig ab und es kommt zu Belastung nachfolgender Anlagen wie Pumpwerke und Kläranlagen.
Vermeidung von Geruchsbelastungen – Lösung durch Berechnung von Schwefelwasserstofffrachten und –konzentrationen
Generell, und im Speziellen für Abluftbehandlungsanlagen gilt: Um Maßnahmen gegen Geruch und Korrosion bemessen zu können, ist es notwendig, mindestens die folgenden Punkte zu klären.
- Wie hoch ist die Sulfidfracht (Maximum und Durchschnitt)
- Reichweite und Stärke der Emissionen
- Menge der zu behandelnden Abluft
Darüber hinaus sollten in jedem Falle, auch um eine vorausschauende sichere Bemessung gewährleisten zu können, die ergänzenden Fragestellungen beantwortet werden:
- Was sind die Ursachen für die vorhandenen Belastungen?
- Wie sieht die zukünftige Entwicklung aus?
Diese Fragestellungen rein über eine Messung sicher erfassen zu wollen, ist nur in Ausnahmefällen möglich, nämlich nur dann, wenn die Belastungen sehr homogen verlaufen und die Abwasserzusammensetzung über längere Zeiträume hinweg keinen großen Schwankungen unterliegt. Also dann, wenn mit einer vertretbaren Dauer einer Messkampagne (zwei bis vier Wochen) mit Sicherheit alle relevanten Betriebszustände erfasst und für die Bemessung ausgewertet werden können.
Bei der hydraulischen Auslegung von Entwässerungssystemen ist eine Modellierung und anschließende hydrodynamische Berechnung heute selbstverständlich. Jedoch reichen die Möglichkeiten heute viel weiter. Durch eine Kopplung der hydraulischen Berechnung mit einer bio-chemischen Modellierung von Stoffumwandlungsprozessen ist es möglich, die Sulfidentwicklung und Sulfidemissionen in Entwässerungssystemen und deren Bauwerken sicher zu berechnen. Dies gilt dabei sowohl für vorhandene Systeme, als auch für Neuplanungen und geplante Umbauten.
Hierzu entwickelte die Firma UNITECHNICS das GIS-basierte Programm SULFIDUS. Das Programm baut auf ein hauseigenes Berechnungsmodell auf, das seinen Ursprung in einer Kombination von Modellansätzen hat, die im Hochschulbereich entwickelt wurden. Dabei wurden das Modell und die einzelnen Ansätze darin kontinuierlich weiterentwickelt und mit umfangreichen Praxiserfahrungen kalibriert bzw. verifiziert. Die Erfahrung aus mehreren hundert Projekten und 20 Jahren Modellierungserfahrung im Bereich Sulfidbildung und Sulfidemissionen sind in diese zeitgemäße Form der Berechnungsdurchführung eingeflossen. Grundsätzlich gliedert sich jedes Projekt in die Abschnitte Modellierung – Kalibrierung – Simulation und Beurteilung (Abbildung 3).
SULFIDUS ist eine einfach zu bedienende Software für die Planung geruchsfreier Entwässerungssysteme. Mit der Eingabe von Parametern werden komplexe Stoffwechsel-Prozesse im Abwassernetz simuliert. So können Abbauprozesse, wie die Bildung von Sulfid (H2S), Ausgasungen oder Sauerstoffzehrung, präzise vorausberechnet werden. Im Ergebnis kann so die Entstehung von biogener Korrosion – und damit die Entstehung unangenehmer Gerüche – frühzeitig erkannt bzw. vermieden werden.
Durch die vorhandenen Schnittstellen zum Import von Kanalstammdaten ist ein einfacher Austausch mit den Kanaldatenbanken der Betreiber möglich. Ganze Netze oder Abschnitte können daraus importiert werden und es wird eine detaillierte, kleinteilige, haltungsgenaue Berechnung der Sulfidbildung und der Sulfidemissionen möglich. Genauso ist es aber auch im Rahmen einer Expertenmodellierung möglich, ein gröberes Netz zu schaffen und über die Definition von Randbedingungen die Berechnung für aus dem Gesamtsystem herausgelöste Gebiete durchzuführen. Darüber können dann einfach Aussagen zur Veränderung der Situation z. B. durch Neuanschlüsse von Industriebetrieben oder Neubaugebieten erarbeitet werden.
Die Kalibrierung ist ein wichtiger Bestandteil einer jeden Simulation. Hierfür sind Messungen im System unerlässlich. Dabei können auch wichtige Angaben zu weiteren Inputparametern generiert werden, indem Abwasserproben gezogen werden und die Aussagequalität der Modellierung dadurch erhöht wird. Liegen keine Angaben zu den Abwasserparametern vor, so hat sich im kommunalen Bereich eine Kombination aus der Nutzung von Standardparametern und die Durchführung von Sensitivitätsanalysen für die einzelnen Abwasserparameter bewährt.
Neben diesen Sensitivitätsanalysen können bei den Simulationen selbst alle denkbaren Varianten berechnet werden: Standardvarianten wie Trocken- oder Regenwetterabflüsse, aber auch Speziallastfälle wie sporadische hochbelastete Einleitungen aus Gewerbe oder Industrie.
Im Rahmen der Beurteilung der Ergebnisse können dann Maßnahmen ermittelt, bemessen und bewertet werden. So sind die bei unterschiedlichen Lastfällen z. B. an Pumpwerken auftretenden Sulfidfrachten wichtige Eingangsgrößen für die Dimensionierung der Abluftbehandlungsanlagen. Dadurch wird eine technisch optimierte und somit wirtschaftliche Anlagenauslegung möglich.
Die Ergebnisse werden visualisiert (vgl. Abbildung 4). Dadurch können z. B. über Einfärbungen in Ampelfarben komplexe Ergebnisse einfach an Entscheidungsträger vermittelt werden.
Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen ermöglichen dann zusätzlich eine betriebswirtschaftliche Optimierung der Herangehensweise an die Problematik Geruch und Korrosion. Damit können dann auf breiter und gesicherter Basis Entscheidungen zu gesamtheitlichen Strategien getroffen und sichere Investitionspläne zur Umsetzung der Maßnahmen aufgestellt werden.
Vermeidung von Geruchsbelastungen bei der Einleitung von Schiffsabwässern in lokale Entwässerungssysteme am Beispiel des Port of Kiel
Bei der Einleitung von Schiffsabwässern in das Entwässerungssystem der Stadt Kiel bereiteten vor allem die Parameter pH-Wert und Sulfid Probleme. Da bereits Sulfidkonzentrationen von deutlich weniger als 2 mg/l zu Belastungen in der Abluft im deutlich wahrnehmbaren Bereich führen können, wurde eine Reduktion der Sulfidbelastungen deutlich unter dem genannten Grenzwert durch die Abwasserbehandlung angestrebt.
Nach Vorlage der Berechnungen und Analysen war klar, dass klassische Ansätze zur Bekämpfung von Problemen durch Schwefelwasserstoff hier nicht funktionieren oder unwirtschaftlich sind. Deshalb wurde ein Konzept entwickelt, das sich den Fakt zu Nutze macht, dass bei sehr niederen pH-Werten nahezu das gesamte Sulfid als leicht emittierbarer Schwefelwasserstoff vorliegt (vgl. Abbildung 6).
Durch Belüftung der Schiffsabwässer kann der vorhandene Schwefelwasserstoff schnell ausgestrippt werden. Vorversuche an einem 5m³-Behälter (siehe Abbildung 7) haben dies nachgewiesen. Es konnte gezeigt werden, dass bereits eine Belüftungsdauer von 7 Minuten ausreicht, um bei einer Vielzahl der Schiffsabwässer nahezu sämtliches Sulfid aus zu strippen.
Dadurch wird jedoch nun die Abluft mit der ausgestrippten Fracht beladen. Bei einer Belastung von 500 ppm und mehr wird dann eine sichere und wirtschaftliche Behandlung der Abluft notwendig. Die Funktionalität der Abluftbehandlung wurde ebenfalls über Vorversuche (siehe Abbildung 8) nachgewiesen und gleichzeitig wurden dabei zusätzliche Parameter für die Bemessung der Abluftbehandlungsanlage gewonnen.
Auf Basis der Berechnungen und der Vorversuche wurde ein 75 m³ großer Stauraumkanal aus Steinzeugrohren errichtet, der über ein Druckleitungssystem direkt durch die Kreuzfahrtschiffe beschickt wird. Dieser ist mit grobblasigen Belüftungselementen und umfangreicher Analysetechnik ausgestattet.
Die Belüftung erfolgt dabei direkt durch Luft, welche mit Ozon angereichert ist, um einen weitest gehenden Abbau des ausgestrippten Schwefelwasserstoffs im Reaktor zu gewährleisten. Restbelastungen an Schwefelwasserstoff werden in einer nachgeschalteten Adsorbereinheit zurückgehalten, so dass über den Schornstein, welcher über der zu den Schiffen führenden Passagiergangway liegt, gereinigte und „geruchsfreie“ Reinluft abgeführt wird. Die komplette Anlagentechnik ist kompakt in einem 40 Fuß Schiffscontainer untergebracht und integriert sich dadurch in das Hafenbild.
Das behandelte Grauwasser wird anschließend über eine Druckrohrleitung zum kommunalen Übergabepunkt gepumpt und dem städtischen Klärwerk zugeführt.
Die frühzeitige Einbindung von Berechnungen und Simulationen in die Ausarbeitung machte es möglich, weit vor der Umsetzung, die Auswirkungen von Planungsalternativen konkret zu benennen und eine kompakte, wirtschaftliche und sichere Lösung zu entwickeln.
Fazit
Schwefelwasserstoff ist ein Gefahrstoff, welcher in geringen Konzentrationen vorwiegend als unangenehmer Geruch auffällt. Gleichzeitig ist die Bildung von Schwefelwasserstoff in Entwässerungssystemen, bedingt durch bio-chemische Prozesse, nahezu unvermeidlich. Dies führt dazu, dass wir nicht nur bei direkten Einleitungen, sondern auch verteilt in den Entwässerungsnetzen und auf den Abwasserbehandlungsanlagen mit Schwefelwasserstoffbelastungen rechnen müssen.
Als Indirekteinleiter steht man jedoch häufig vor der Herausforderung, die eingeleiteten Sulfidbelastungen reduzieren zu müssen. Dabei machen spezielle Abwasserzusammensetzungen häufig den Einsatz klassischer Lösungen, wie Fällung, technisch schwierig und wirtschaftlich uninteressant. Hier sind alternative, maßgeschneiderte Ansätze zu finden.
Die Erarbeitung einer wirtschaftlich und technisch optimierten Lösung geht am effektivsten auf Basis einer Modellierung der bio-chemischen Stoffumwandlungsprozesse, welche z. B. im Programm SULFIDUS skalierbar (von einzelnen Leitungen bis zu ganzen städtischen Entwässerungsnetzen) möglich ist. Damit können zum einen flächendeckende Aussagen zu Belastungen getroffen werden und zum anderen ist die Entwicklung von ganzheitlichen Geruchminimierungskonzepten möglich.
Mit Hilfe solcher Werkzeuge wird es auch möglich, moderne Abluftbehandlungsanlagen sicher zu bemessen und optimiert auf die Belastungen auszulegen. Wird das Ganze um wissenschaftlich-technische Untersuchungen ergänzt, können Konzepte entwickelt werden, welche weit über Standardlösungen hinausgehen und auf spezifische Anforderungen, wie z. B. für die Abwässer und die Abluft der Grauwasserabgabe von Kreuzfahrtschiffen in Häfen, maßgeschneidert sind.